Das Menschenmögliche gegen Unrecht und Unmenschlichkeit
10. Juni 2023 | Von Hermine Touschek | Kategorie: RezensionenRezension von Bernhard Paumann – Foto: Waldaistbühne
Die Menschen (nicht alle) haben aus der Geschichte nichts gelernt und gerade deswegen ist es ungemein wichtig, an Ereignisse, die vollgesogen sind mit Brutalität, Menschenverachtung, Ausgrenzung, Herrenmenschentum und bedingungsloser Gläubigkeit an eine Führerfigur (die sich im Nachhinein als ziemlich lächerlich erweist), eindringlich zu erinnern. Daher ist das riesige Theaterprojekt der Theatergruppe Tragwein und der Theaterrunde Gutau auf der Ruine Reichenstein mit ihrer Produktion „Das Menschenmögliche“ umso wertvoller zu beurteilen, handelt es doch von der verniedlichend „Mühlviertler Hasenjagd“ genannten Hatz und Auslöschung ausgebrochener KZ Häftlinge (vorwiegend Russen und Ukrainer) aus Mauthausen und dem Überleben einiger weniger durch Menschen, die noch einen Funken Anstand und Menschlichkeit besitzen .
In karger, aber sehr funktioneller Bühne (Helmut Freinschlag und Team) im stimmungsvollen Ruinenteil läuft das emotional aufwühlende Geschehen (erzählt nach Buch und Film von Andreas Gruber) ab. Ein so gewaltiges Menschenaufgebot braucht eine sichere Hand und die führte Eva Stockinger, die den Spagat zwischen reißerischer Brutalität und empathischer Sentimentalität bravourös meisterte. Hatte sie doch auch exzellente Charakterdarsteller*innen in ihrem Aufgebot.
Manfred Wolf und Werner Mühlbachler als die von der Familie Langthaler geretteten KZ-Häftlinge spielen ihre Rollen mit einer Intensität, die nicht dick auftragen muss. Sogar ihre Sprache wirkt authentisch und nicht aufgesetzt. Als Antipode des Guten setzt sich Bernhard Mühlbachler als Oberscharführer Heinze brutal, gefühlskalt und wahrlich über Leichen gehend in Szene, nur beim Fotografen (Wolfgang Hessl) offenbart sich eine lächerliche Sentimentalität. An Fanatismus stehen ihm Toni Berghammer (beängstigend dämonisch Bernhard Jahn), der Bürgermeister (Fritz Renhart) und der Kaufmann (Herbert Neumeister) nicht nach. Horst Prückl als Pfarrer zeigt anschaulich die Diskrepanz von Aufbegehren und Kleinmütigkeit.
Sehr überzeugend in der Darstellung und Wirkung die Familie Langthaler, vor allem Renate Kiesenhofer als Mutter und Franz Pichler als übervorsichtiger Vater geben dem unvorstellbaren Grauen eine menschliche Note. Eva Hötzendorfer als gealterte Anna Hackl-Langthaler unterbricht mit deren Lebenserinnerungen immer wieder die Flut der Brutalität. Auch alle anderen Rollen als Dorfgemeinschaft, als Kirchgängerinnen, als Volkssturm, als SS Schergen oder KZ Häftlinge tragen als Mosaiksteinchen zum gewaltigen Gesamtbild bei.
Für mich besonders beeindruckend die kurze Filmsequenz über den Ausbruch, die mit unbeschreiblicher Präzision und Rasanz erschüttert und anklagt (Klaus Wasner). Im zweiten Teil wird durch eine flash-artige Szenenfolge der Erzählfluss etwas gehemmt. Und wenn im Schlussbild eine Melodie der „Mauthausen-Kantate“ von Mikis Theodorakis erklingt, der auf der KZ Insel Makronissos das Leid kennenlernte, dann verspürt man, dass es eine Hoffnung zum Guten immer gibt. Und wie wichtig dieses Projekt der Waldaistbühne zur ständigen Erinnerung und Mahnung ist.
Für eventuelle Restkarten: https://www.waldaistbuehne.com/home/